Urteil des EuGH zur vorläufigen Festnahme bei Vorliegen einer Red Notice und dem Doppelbestrafungsverbot (EuGH, Urt. v. 12.05.2021, Rs: C-505/19):
Der EuGH (Europäischer Gerichtshof) hat mit Urteil vom 12.05.2021 festgestellt, dass die vorläufige Festnahme einer Person aufgrund einer Red Notice von Interpol zulässig ist, es sei denn, mit einer gerichtlichen Entscheidung sei festgestellt, dass die betreffende Person in einem Vertrags- oder einem Mitgliedstaat wegen derselben Tat(en), auf die sich die Red Notice bezieht, bereits rechtskräftig abgeurteilt wurde.
Eine solche gerichtliche Entscheidung setzt einen entsprechenden Rechtsbehelf voraus, der (auch) in Deutschland nicht existiert.
Hintergrund der Entscheidung ist eine Vorlage des VG (Verwaltungsgericht) Wiesbaden an den EuGH. Das VG Wiesbaden wurde von einem 83-jährigen Deutschen angerufen, der seit 2012 mit einer Red Notice von den US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden wegen Bestechungsvorwürfen gesucht wird. Wegen dieser Vorwürfe lief jedoch auch in Deutschland gegen ihn ein Ermittlungsverfahren, welches gemäß § 153a Abs. 1 StPO (Strafprozessordnung) gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt wurde.
Dennoch musste der Betroffene in einem der anderen 189 Interpol-Staaten, auch in den Mitgliedstaaten der EU, mit seiner Festnahme rechnen. Denn trotz eines Hinweises des BKA (Bundeskriminalamt), dass davon auszugehen sei, dass das Verbot der Doppelbestrafung bestehe, steht er weiterhin auf der Fahndungsliste. Aus diesem Grund wandte er sich an das VG Wiesbaden und verlangte, das BKA als Nationales Zentralbüro für Interpol müsse Maßnahmen ergreifen, um die Red Notice löschen zu lassen. Die Gefahr festgenommen zu werden, beschränke ihn in seinem Freizügigkeitsrecht.
Das VG Wiesbaden legte daraufhin dem EuGH Fragen zur Anwendung des Verbots der Doppelbestrafung vor, insbesondere zur vorläufigen Festnahme bei einer Red Notice.
In seinem Urteil stellte der EuGH nun nicht nur fest, dass die Tatsache, dass das Verbot der Doppelbestrafung greife, gerichtlich festgestellt sein müsse (bis dahin ist die vorläufige Festnahme zulässig), sondern auch dass die Vertrags- und Mitgliedsstaaten sicherstellen müssen, dass entsprechende Rechtsbehelfe für eine solche gerichtliche Feststellung bestehen müssen.
Genau solches aber gibt es in Deutschland bisher nicht. Wir werden die Entwicklung dessen gespannt mitverfolgen.